Inhaltliche Qualitätssicherung: Dr. rer. nat. Till Schumacher (Apotheker)
Zöliakie ist eine weit verbreitete Erkrankung, bei der Betroffene nach dem Verzehr von Gluten unter umfangreichen Beschwerden leiden. Diese betreffen überwiegend den Verdauungstrakt, häufig aber auch andere Körperregionen. Da die Symptome oft unspezifisch sind, dauert es häufig mehrere Jahre, bis eine eindeutige Diagnose gestellt werden kann. Die Glutenunverträglichkeit gilt bis heute als nicht heilbar. Durch eine strikte glutenfreie Ernährung ist es Betroffenen im Normalfall jedoch möglich, ein gesundes und beschwerdefreies Leben zu führen.
Was ist Zöliakie?
Bei Zöliakie handelt es sich um eine immunologisch bedingte Multiorganerkrankung. Dies bedeutet, dass sie das Immunsystem betrifft und sich in mehreren Körperregionen abspielt. Das Immunsystem reagiert hierbei überempfindlich auf Gluten, das in zahlreichen Getreidesorten enthalten ist. Aus diesem Grund wird die Erkrankung auch als Glutenunverträglichkeit oder Glutensensitive Enteropathie bezeichnet.
Schätzungen zufolge leidet ungefähr ein Prozent der Weltbevölkerung unter Zöliakie. Es wird jedoch angenommen, dass die Dunkelziffer aufgrund der schwierigen Diagnose deutlich höher liegt. Frauen sind durchschnittlich häufiger betroffen als Männer. Die Glutenunverträglichkeit tritt in den meisten Fällen erstmals im Baby- und Kleinkindalter oder im Erwachsenenalter zwischen dem 20. und 50. Lebensjahr auf.
In der Medizin wird Zöliakie als Autoimmunerkrankung angesehen. Es handelt sich also um eine Erkrankung, bei der eine Fehlsteuerung des Immunsystems vorliegt. In Folge greift das Immunsystem körpereigene Strukturen an und schädigt diese. Obwohl sich im Körper der Betroffenen Antikörper bilden, handelt es sich nicht um eine Allergie. Bei Aufnahme von Gluten kommt es zu einer Bildung von Auto-Antikörpern, die Entzündungsprozesse im Dünndarm und gegebenenfalls weitere Beschwerden in anderen Organen und Körperregionen auslösen.
Bei den meisten Betroffenen verursacht Zöliakie eine wiederkehrende Entzündung der Schleimhaut des Dünndarms. Im Laufe der Zeit kommt es dadurch zu einer Zerstörung der Darmzotten. Dabei handelt es sich um Ausstülpungen der Darmschleimhaut, die für die Vergrößerung der Oberfläche des Dünndarms und die schnellere Aufnahme von Nährstoffen ins Blut verantwortlich sind. Durch die fortschreitende Zerstörung der Darmzotten nimmt die Schleimhautoberfläche des Darms bei Patienten mit Zöliakie stetig ab. Da die Darmschleimhaut für die Nahrungsaufnahme verantwortlich ist, ist der Körper durch die Glutenunverträglichkeit nicht mehr in der Lage, Nährstoffe im vollen Umfang aufzunehmen. Daraus resultierend zieht die Erkrankung oft weitere Beschwerden nach sich, die den ganzen Körper betreffen können.
Glutenunverträglichkeit: Symptome
Aufgrund des variablen Erscheinungsbilds und den vielfältigen, recht unspezifischen Beschwerden wird Zöliakie gelegentlich als „Chamäleon der Gastroenterologie“ bezeichnet. Betroffene leiden nach dem Verzehr von glutenhaltigen Lebensmitteln oftmals an Symptomen unterschiedlichster Art. In den meisten Fällen betreffen diese den Verdauungstrakt. Häufig kommt es zu chronischem Durchfall oder Verstopfung, Blähungen, Bauchschmerzen, einem aufgeblähtem Bauch und Erbrechen.
Durch die voranschreitende Schädigung der Dünndarmschleimhaut und der damit verbundenen verminderten Nährstoffaufnahme kann Zöliakie Vitamin- und Mineralstoffmängel sowie Eiweißmangel auslösen. Besonders häufig entsteht Eisenmangel. Bei Kindern und Jugendlichen kann die Erkrankung aus diesem Grund Wachstums- und Entwicklungsstörungen, Kleinwuchs und ein verzögertes Eintreten der Pubertät zur Folge haben. Bei Betroffenen jeder Altersgruppe kommt es aufgrund der verringerten Nährstoffaufnahme und häufigen Durchfällen oft zu einem starken Gewichtsverlust.
Darüber hinaus können Symptome auftreten, die andere Körperregionen betreffen. Dazu gehören beispielsweise:
- Muskel- und Gelenkschmerzen
- Muskelschwäche
- Kopfschmerzen
- verminderte Knochendichte
- Störungen der Bewegungskoordination
- Nachtblindheit
- chronische Müdigkeit
- Konzentrationsstörungen
- Hautausschläge (Dermatitis herpetiformis Duhring)
Formen der Zöliakie und deren typische Symptome
Je nach Krankheitsbild und auftretenden Symptomen kann zwischen fünf Formen der Zöliakie unterschieden werden.
Die klassische Zöliakie tritt meist bereits im Kleinkindalter nach Einführung glutenhaltiger Lebensmittel in den Speiseplan ein. Betroffene leiden in erster Linie an Beschwerden, die aus der gestörten Nährstoffaufnahme resultieren. Dazu gehören neben Durchfall und weiteren Verdauungsstörungen Symptome, die aus Nährstoffmängeln resultieren – darunter Wachstums- und Entwicklungsstörungen bei Kindern und Jugendlichen sowie Muskelschwund, Anämie und Wasseransammlungen im Gewebe in allen Altersgruppen.
Bei der symptomatischen Zöliakie leiden Betroffene unter unspezifischen Symptome, die den Magen-Darm-Trakt betreffen. Dazu gehören beispielsweise Durchfall, Verstopfung, Blähungen und Bauchschmerzen. Gegebenenfalls treten zusätzliche Beschwerden wie Müdigkeit, Depressionen, verminderte Leistungsfähigkeit und Nährstoffmängel auf.
Die subklinische Zöliakie bezeichnet eine Form der Erkrankung, bei der keine spürbaren Symptome auftreten. Dennoch lassen sich bei den Betroffenen sowohl typische Veränderungen des Dünndarms als auch Antikörper im Blut nachweisen. Eventuell können weitere krankheitsbedingte Veränderungen der Laborwerte festgestellt werden, darunter Nährstoffmängel und eine verminderte Knochendichte.
Die potenzielle Zöliakie oder latente Zöliakie liegt dann vor, wenn sich im Blut typische Antikörper befinden, aber keine Veränderungen des Dünndarms vorliegen. Da sich diese im weiteren Krankheitsverlauf entwickeln können, wird Betroffenen empfohlen, regelmäßige ärztliche Untersuchungen durchführen zu lassen.
Die refraktäre Zöliakie bezeichnet eine besonders schwere Form der Erkrankung. Trotz glutenfreier Diät über einen langen Zeitraum kommt es weiterhin zu einer Zerstörung der Darmzotten und weiteren Zöliakie-typischen Symptomen. Diese Form der Erkrankung betrifft im Normalfall nur Patienten im höheren Alter.
Zöliakie: Diagnostik
Da die Krankheitssymptome von Zöliakie sehr umfangreich und recht unspezifisch sein können, ist es oftmals schwer, eine sichere Diagnose zu stellen. In vielen Fällen wird die Krankheit erst nach vielen Jahren oder gar nicht erkannt.
Bei Verdacht auf eine Glutenunverträglichkeit überweist der Hausarzt Betroffene in der Regel zu einem Gastroenterologen. Dieser ist auf Erkrankungen des Verdauungstrakts spezialisiert und kann somit feststellen, ob tatsächlich eine Zöliakie vorliegt. Um die Erkrankung sicher zu diagnostizieren, ist es erforderlich, dass Betroffene weiterhin Gluten zu sich nehmen. Für ein sicheres Testergebnis sollten sie im Idealfall drei bis viermal täglich glutenhaltige Lebensmittel verzehren. Nach einer Umstellung auf glutenfreie Ernährung ist es dagegen nicht mehr möglich, eine Zöliakie eindeutig zu diagnostizieren.
Im Rahmen der ärztlichen Diagnose erfolgt meist zunächst eine Anamnese. Der Arzt stellt dabei Fragen bezüglich der Lebensweise und der Ernährung, der aktuellen Beschwerden und eventueller Vorerkrankungen. Im Anschluss wird eine grundlegende körperliche Untersuchung durchgeführt. Der Fokus liegt dabei auf der Untersuchung des Bauchraums und der Suche nach Auffälligkeiten auf der Haut und der Zunge. Da die Gesundheit des Darms durch eine Ultraschalluntersuchung nicht eindeutig beurteilbar ist, erfordert eine sichere Diagnose weiterführende Untersuchungen.
Zöliakie Antikörper
Die wichtigste Untersuchung bei der Diagnose von Zöliakie stellt der Bluttest dar. Dieser kann jedoch nur durchgeführt werden, wenn Menschen mit Verdacht auf eine Glutenunverträglichkeit noch keine Ernährungsumstellung durchgeführt haben.
Im Rahmen des Bluttests untersucht der Arzt, ob im Blutserum der Patienten Antikörper vorkommen, die auf das Vorliegen einer Zöliakie hindeuten. Falls eine Glutenunverträglichkeit vorliegt, bildet der Körper der Betroffenen bei Verzehr von Gluten Antikörper gegen die sogenannte Gewebstransglutaminase. Dabei handelt es sich um ein Enzym der Dünndarmschleimhaut, das für die Verarbeitung des im Gluten enthaltenen Glutamin verantwortlich ist. Daneben kommt es zu einer Bildung von Antikörpern gegen das Endomysium, einer Bindegewebsschicht in der Darmwand. Der Angriff durch die Auto-Antikörper hat einen Abbau der Zotten der Darmwand zur Folge. Die Konzentration dieses Antikörpers im Blut deutet darauf hin, wie stark die Darmzotten bereits beschädigt sind.
Bei Personen, die unter Zöliakie leiden, lässt sich eine erhöhte Konzentration an Immunglobulin A (Gesamt-IgA) sowie der Auto-Antikörper Immunglobulin A (tTG-IgA) im Blutserum nachweisen. Falls diese Werte bei Verdacht auf eine Glutenunverträglichkeit im Normbereich liegen, kann ein Vorliegen von Zöliakie mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden.
Weitere Diagnoseverfahren bei Zöliakie
Häufig wird bei Verdacht auf Zöliakie zudem eine Speiseröhren- und Magenspiegelung durchgeführt. Bei dieser wird eine Gewebeprobe aus dem Dünndarm entnommen. Wenn sich für die Erkrankung typische Veränderungen des Gewebes feststellen lassen, gilt die Diagnose als sicher.
Bei einigen Personengruppen wie Patienten mit unklaren Gewebeproben, Kindern und Geschwistern von Zöliakie-Betroffenen sowie Kindern mit bestimmten Erkrankungen wie Down-Syndrom wird gelegentlich zudem eine genetische Untersuchung durchgeführt. Das Vorliegen bestimmter Gene kann darauf hinweisen, dass ein erhöhtes Risiko für Zöliakie besteht.
Falls trotz umfangreicher Untersuchungen keine eindeutige Diagnose gestellt werden kann, empfehlen Ärzte in der Regel eine glutenfreie Diät über einen Zeitraum von etwa acht Wochen. Falls diese zu einer Symptomverbesserung und verbesserten Testergebnissen führt, liegt die Erkrankung mit hoher Wahrscheinlichkeit vor.
Zöliakie: Behandlung
Leider gibt es bis heute keine Therapie zur vollständigen Heilung von Zöliakie. Bei Glutenunverträglichkeit handelt es sich somit um eine Erkrankung, die Betroffene ihr ganzes Leben lang begleitet. Durch eine dauerhafte Umstellung auf glutenfreie Ernährung ist es dennoch möglich, ein gesundes Leben ohne Komplikationen zu führen. Wird die Diät streng eingehalten, bleiben die Beschwerden in den meisten Fällen fast vollständig aus. Zudem wird das Risiko für Folgeerkrankungen deutlich reduziert. Bei vollständigem Verzicht auf Gluten beeinflusst die Erkrankung in der Regel auch nicht die Lebenserwartung.
Für die meisten Betroffenen bedeutet die Umstellung auf glutenfreie Ernährung eine komplette Änderung der Lebensgewohnheiten. Da die meisten eine sehr niedrige Gluten-Toleranz aufweisen, ist ein vollkommener Verzicht auf glutenhaltige Lebensmittel notwendig. In der Regel verweisen Ärzte Betroffene an Ernährungsberatungsstellen, die bei der Erstellung eines individuellen Speiseplans behilflich sind.
Die richtige Ernährung bei Zöliakie
Bei der glutenfreien Ernährung steht der strikte Verzicht auf glutenhaltige Getreidesorten an erster Stelle. Dazu gehören:
- Weizen
- Dinkel
- Gerste
- Roggen
- Grünkern
- Urkorn
- Einkorn
- Emmer
- Triticale
- Tritordeum
- eventuell Hafer (durch häufigen Kontakt mit glutenhaltigen Getreidesorten)
Vermehrte Vorsicht ist beim Verzehr verarbeiteter Lebensmittel geboten. Gluten ist Bestandteil zahlreicher getreidehaltiger Produkte und versteckt sich oftmals in Backwaren, Fertigprodukten und Süßspeisen, aber auch verarbeiteten Fleischwaren, Bier und Sojasauce. Die Allergenkennzeichnungspflicht der europäischen Lebensmittelverordnung verpflichtet Hersteller dazu, glutenhaltige Lebensmittel auszuzeichnen. Hierbei gilt jedoch zu beachten, dass sich das Wort „Gluten“ nicht auf der Verpackung befinden muss. Stattdessen muss lediglich die glutenhaltige Zutat auf der Zutatenliste stehen.
Lebensmittel mit einem maximalen Gehalt von 20 ppm (20 Milligramm pro Kilogramm) Gluten gelten als glutenfrei. Das Symbol einer durchgestrichenen Getreideähre kennzeichnet Produkte, die für Menschen mit Zöliakie geeignet sind. Die Auswahl an glutenfreien Lebensmitteln und Ersatzprodukten ist in europäischen Supermärkten mittlerweile recht groß. Auch Bäckereien bieten oftmals glutenfreie Backwaren an. Einige Getreide- und Pseudogetreidesorten sind von Natur aus glutenfrei und können von Betroffenen somit bedenkenlos verzehrt werden. Dazu gehören:
- Mais
- Reis
- Buchweizen
- Hirse
- Qinoa
- Amaranth
- Teff (Zwerghirse)
Betroffene sollten auch bei der Lagerung von Lebensmitteln vorsichtig sein und darauf achten, glutenhaltige und glutenfreie Zutaten getrennt voneinander aufzubewahren. Bei Kontakt der Nahrungsmittel kann es schnell zu einer Kontamination, also einer Verunreinigung mit Gluten kommen. Aus diesem Grund ist bei Restaurantbesuchen vermehrte Vorsicht geboten. Verwandte und Freunde von Zöliakie-Betroffenen sollten deshalb über die Erkrankung und die Grundlagen der glutenfreien Ernährung informiert sein.
Behandlung von Nährstoffmängeln bei Zöliakie
Insbesondere dann, wenn eine Zöliakie zu einem späten Zeitpunkt erkannt wird, können in Folge der Erkrankung Nährstoffmängel bestehen. Bei vielen Betroffenen kann ein Mangel an den Vitaminen A, B6, B9 (Folsäure), B12 und K sowie den Spurenelementen Eisen, Kalzium und Magnesium festgestellt werden. Eine Mangelversorgung mit diesen Mikronährstoffen kann schwere gesundheitliche Folgen nach sich ziehen – darunter Muskelkrämpfe, schwere Blutungen und Blutarmut (Anämie) mit damit zusammenhängenden Symptomen wie chronischer Müdigkeit.
Bei Zöliakie-bedingten Nährstoffmängeln ist somit ein Ausgleich notwendig. Die fehlenden Vitamine und Spurenelemente werden in der Regel in Form von entsprechenden Nahrungsergänzungsmitteln eingenommen. Im Falle gravierender Mangelerscheinungen oder einer unzureichenden Aufnahme durch den entzündeten Darm ist eventuell eine Infusion oder Injektion notwendig.
Fazit
Bei Zöliakie handelt es sich um eine Autoimmunerkrankung, die das Immunsystem und weitere Körperregionen und Organe betrifft. Im Körper der Betroffenen bilden sich nach Verzehr von Gluten Auto-Antikörper, die körpereigene Strukturen angreifen. Im Laufe der Zeit kommt es dadurch zu einem Abbau der Darmzotten. In Folge können Nährstoffe aus der Nahrung nicht mehr im vollen Umfang aufgenommen werden.
Betroffene mit Zöliakie leiden oftmals unter umfangreichen Krankheitssymptomen, die in erster Linie den Verdauungstrakt betreffen. Häufig kommt es zu zusätzlichen Beschwerden in anderen Körperregionen. Durch die verminderte Nährstoffaufnahme besteht ein erhöhtes Risiko für Nährstoffmängel und damit verbundene Folgekrankheiten. Bei Kindern und Jugendlichen kann es zudem zu gravierenden Entwicklungs- und Wachstumsstörungen kommen.
Obwohl es bisher keine Therapie zur Heilung von Zöliakie gibt, ist es möglich, trotz der Erkrankung ein gesundes und beschwerdefreies Leben zu führen. Bei einer strikten glutenfreien Ernährung gehen die Krankheitssymptome in der Regel beinahe vollständig zurück. Liegen bereits Nährstoffmängel vor, umfasst die Behandlung zudem einen Ausgleich der Mangelerscheinungen. Niedrige Vitamin- und Mineralstoffspiegel können mit entsprechenden Nahrungsergänzungsmitteln oder Infusionen ausgeglichen werden.